Erkenntnisse zu den Mauereidechsen in Kaldenkirchen

Erkenntnisse zu den Mauereidechsen in Kaldenkirchen

ACHIM-RÜDIGER BÖRNER
November 2014


Aufgrund des Beitrages von C. Hain besuchte ich im Spätsommer 2014 mehrfach die Mauereidechsenpopulation in Nettetal-Kaldenkirchen am Nordwestrand von Nordrhein-Westfalen an der Grenze zu den Niederlanden. Die Population wird erstmals erwähnt bei SCHULTE et al. (2011) und dort aufgrund genetischer Untersuchung der südalpinen Linie zugeordnet, auf die derzeit der Name Podarcis muralis maculiventris angewandt wird.

Kaldenkirchen liegt nahe an der Maas. Die nördlichste autochthone Population von Mauereidechsen ist Podarcis muralis brongniardii und findet sich in Maastricht, also etwa  75 km südsüdwestlich von Kaldenkirchen. Dennoch handelt es sich bei den Kaldenkirchener Tieren nicht um eine Ausbreitung entlang der Maas. Die Kaldenkirchener Eidechsen sind deutlich robuster und in einigen Tieren grünrückig und großfleckig. Sie gehen auf Tiere aus dem Gebiet der oberitalienischen Seen zurück, die im Bahnhofsgelände ab 1998 ausgesetzt wurden.

Das Bahnhofsgelände besteht aus einer Bahnshofszufahrt mit Park- und Vorplatz, einem aktiven Bahnhofsgebäude für den Personenverkehr mit zwei Durchgangsgleisen und einem Güterbahnhof mit einem Durchgangsgleis sowie – nördlich anschließend – mehreren schon länger nicht mehr benutzten Gleisanlagen und Gebäuden. Es endet im Norden bei einem Stellwerk, die Trasse unterquert dann die Autobahn A 61. Im Süden endet es an einer Eisenbahnbrücke über die Durchgangsstraße, von der die Zufahrt abzweigt.

1. Ausbreitung

Die Eidechsen sind am häufigsten im Bereich der Bahnhofsgebäude. Die Randbereiche des Bahnhofsvorplatzes (südlich vor dem Bahnhofsgebäude mit Zufahrt und Parkplätzen) und die Randbereiche der Freiflächen der Bahnsteige, vor allem die südlich der Bahnhofshalle, sind dicht besiedelt. Die Eidechsen sind hier an die Pendler gewöhnt; sie streifen mitunter durch die Freiflächen des Bahnhofsrestaurants. In den nördlichen und westlichen Verschattungszonen des Bahnhofsgebäudes und der Bahnhofshalle finden sich naturgemäß nur sehr wenige Eidechsen. Nördlich vom Bahnhofsgebäude befinden sich diverse stillgelegte Gebäude; hier finden sich auf den sonnenzugewandten Flächen viele Eidechsen.

Abb. 1: Kaldenkirchen, alte Bahnhofsgebäude: vermutlich ein junges Männchen; man beachte den ozellierten Supraciliarstreif, ein gutes Merkmal für P. m. maculiventris, und den reduzierten Vertebralstreif; der Regenwurm war schließlich doch zu groß

Abb. 2: Kaldenkirchen, alte Bahnhofsgebäude: junges Männchen, wie Abb. 1, aber in anderem Lichtwinkel; hier schön zu sehen der Übergang vom vorderen Rotbraun zum hinteren Dunkelbraun im Parietalstreif und die aufgelöste Vertebrallinie

Abb. 3: Kaldenkirchen, alte Bahnhofsgebäude: erwachsenes Männchen; hier zu sehen (a) die Tendenz zur Querbänderung und die zur Grünfärbung komplementären schwarzen Elemente, (b) die blauen Seitenrandschilder hinten und (c) die kräftige Lippenmarmorierung, letztere ist ein – weiteres – Kennzeichen der P. m. brueggemanni-Gruppe (ssp. maculiventris und nigriventris)*

Abb. 4: Jetzt geht ein ausgewachsenes, grünes männliches Tier an den Wurm von Abb. 1; zu sehen die helle Kopffärbung mit minderer Lippenmakulatur, die Tendenz zur Auflösung der Ozellierung auf dem Rücken in Quermakulatur, die seitliche Hell-Dunkel-Bänderung des Originalschwanzes, gutes, hinreichendes Merkmal für P. muralis; der gesamte Habitus lässt auf ein ausgewachsenes, hochrangiges Tier schließen

Die Eidechsen sind aber nicht auf das Bahnhofsgelände beschränkt. Vielmehr hat sich die Population ausgedehnt nach Norden entlang der Gleise bis zur Autobahnbrücke der A 61 hin und nach Süden über die innerstädtische Gleisbrücke bis in die anschließenden Schrebergärten. Dabei werden die regelmäßig befahrenen Gleise gemieden. Die Asphalt- und Schotterflächen neben den Gleisen geben nur begrenzten Unterschlupf, so dass die Populationsdichte in der Fläche limitiert ist; die Tiere in der Schotterfläche sind sicher auch frostanfällig. Höhere Dichten finden sich an bewachsenen Steinstrukturen wie z.B. Bahnsteigen, Gebäuden, Stütz- und Begrenzungsmauern, Schrebergartenhütten und -schüttungen.

Westlich des Bahnhofs ist neben den Bahnanlagen ein bebautes und genutztes Gebiet, das wegen seines mit einer asphaltierten Parkplatzfläche überbrückten Abstands zum Bahnhof sowie seiner Belebung bisher nicht besiedelt wurde. Östlich des Bahnhofs gibt es einen belebten Radweg bzw. Anliegerstraßen mit aufgelockerter Bebauung; hier kommen die Eidechsen auf einem 50 - 75 m breiten Streifen in geringer Dichte bis in die Gartenflächen hinein vor; die geringe Dichte erklärt sich aus dem Mangel an Strukturen sowie der Bejagung durch Hauskatzen.

Abb. 5: Kaldenkirchen, P+R am Bahnhof: erwachsenes Männchen; die lichtbraune Grundfarbe und die Tendenz zur Verminderung der Quermakulatur deuten auf ein gutes Habitat

Abb. 6: Kaldenkirchen, P+R am Bahnhof: erwachsenes Männchen; zu sehen: helle Kopf- und leichtgrüne Rückenfärbung; blaue Schulterozelle, die eigentlich eher ein Merkmal für P. siculus ist.

Abb. 7: Kaldenkirchen, Dahlienweg: Erwachsenes Weibchen. Auch hier aus der Ferne sind die Ozellierung des Supraciliarstreifs und der Vertebralstreif deutlich zu sehen.

Nach Süden hin führen die Gleise über eine Gleisbrücke entlang an Schrebergärten, wo die Eidechsen in dünner Dichte vorhanden sind, bis die Randvegetation in feuchte Hecken, Wiesen und Ackerland übergeht, die für eine Besiedlung ungeeignet sind. Limitierender Faktor ist das Fehlen trockener Stukturen.

Nördlich vom Bahnhof erstreckt sich ein knapp 1 km langes, breites, sich verjüngendes Bahngelände, dessen Schotterflächen dünn besiedelt sind. Hinter der Autobahnquerung sind nur noch befahrene Gleise; hier dünnt die Population rasch aus. Die Felder links und rechts der Bahn bieten keine Chancen für Eidechsen. Die unmittelbare Nachbarschaft des nördlichen Gleisareals nach Westen ist, soweit es sich um Brachland oder Niederwald mit Holzstößen handelt, an geeigneten Stellen besiedelt. An den Stützmauern der Unterführungen und  der Autobahnbrücke finden sich Sonnenstellen, die durchweg gut besiedelt sind.

Abb. 8: Kaldenkirchen Nord, Unterführung unter den Bahngleisen nahe der Autobahnüberführung, Habitat von gut 20, fast durchweg braunen Tieren

Abb. 9: Männchen (hinten) und Weibchen (vorne) an der Unterführung

Die nördliche Nachbarschaft nach Osten ist durch eine Anliegertraße geprägt, die anfangs durch Hecken, feuchte Wiesen und Vorgärten, später durch Baumschulgelände und agrarische Flächen führt. Soweit die Häuser reichen, gibt es auch Eidechsen, wenn auch nur recht wenige, offenbar infolge der Feuchtflächen, die zu überqueren sind, bevor sich geeignete Strukturen finden, und der Prädation durch Hauskatzen. Eine beschränkte Ausbreitungsmöglichkeit bieten in der Zukunft die Randstreifen der Straßen, insbesondere der Autobahn, die auf einer aufgeschütteten Trasse verläuft.

2. Färbung und Zeichnung

Die überwiegende Zahl der Tiere ist braun und von P. m. brongniardi kaum zu unterscheiden. Am ehesten fällt – neben der größeren Robustheit des Körperbaus – auf, dass die Zeichnung stärker ozelliert. Mit zunehmendem Alter verwischt bzw. verlischt der Vertebralstreif.

Vor allem bei Männchen lösen sich mit zunehmendem Alter die Ozellen in eine Quermakulatur auf. Dies in Verbindung mit einer durchweg, auch im Kopfbereich helleren Grundfarbe und einer Verminderung der schwarzen Zeichnungselemente lassen auf günstige Lebensumstände schließen.

Abb. 10: Typisches erwachsenes Weibchen in Bahnhofsnähe

Abb. 11: Typisches erwachsenes Männchen aus Bahnhofsnähe; die braune Rückenfärbung variiert mit dem Lichteinfall und hat fast schon eine Mischfarbe; gelbe Unterseite

Abb. 12: Erwachsenes Männchen von der Wegeunterführung im Norden, durch Lichteinfall erscheint sein Rücken heller; es hat die in Kaldenkirchen übliche weiße Unterseite; schön zu sehen ist die für P. m. maculiventris charakteristische Kehlmakulatur; beachtenswert ist das fehlende Massetericum

Abb. 13: Erwachsenes Männchen vom Bahnhof mit Aufhellung im Temporalstreif (viele weiße Ozellen), im Parietalstreif (Verlust des Vertebralstreifs) und am Kopf (Lippenmakulatur) gemäß Alter/Dominanz

Etwa 20 % der Tiere sind grünrückig, aber nur in geeigneten Lebensräumen. Grünrückige Exemplare finden sich nur, wo eine ausreichend große, leicht erwärmbare (d. h. gut besonnte und mögichst windfreie) Struktur mit ausreichend Pflanzen vorhanden ist und die Grünfärbung ihre Tarnfunktion erfüllen kann (vgl. Abb. 14 - 18). Die Grünfärbung reicht von hell- bis dunkelgrün. Dabei wird die Grünfärbung in der Regel durch eine Verdunkelung des Temporalstreifs und seiner Ozellen sowie eine Verdunkelung der Quermakulatur des Rückens und eine Verbreiterung des Vertebralstreifs kompensiert. Die schwarzen Zeichnungselemente verbessern das Potential für ein schnelles Aufwärmen, das vor allem in unseren nördlichen Breiten mit sehr wechselhaftem Übergangswetter sehr wichtig ist. Eventuell ist dies ein Grund, weshalb ich Tiere mit oberseits reduziertem Schwarzanteil nur in absolut optimalen Mikrohabitaten (d. h. vor allem solche mit windgeschützten, wenig einsehbaren Sonnenstellen in pflanzenreicher Umgebung) finden konnte.

Abb. 14: Junges Weibchen mit Übergangsfarbe im Parietalstreif

* Der Typus von P. m. brueggemanni stammt aus Florenz, dem Übergangsgebiet von maculiventris und nigriventris; die beiden Formen fasse ich derzeit unter diesem Gruppennamen zusammen, bis die Differenzierung von Mikrohabitat-Präferenzen und die genetische Variabilität (typische Variabilität sowie Breite der Intergradationszone) ausreichend geklärt sind.