Neues über ein Vorkommen der Mauereidechse Podarcis muralis im Landkreis Osnabrück

Neues über ein Vorkommen der Mauereidechse (Podarcis muralis)
im Landkreis Osnabrück

FRANK SUDENDEY
September 2008

Seit mindestens 28 Jahren existiert im Gehn bei Bramsche im Landkreis Osnabrück (TK 25, 3513 Bramsche) eine Mauereidechsen-Population, über die bereits FORMAN (1981) kurz informierte. Da das Bestehen dieser Population über einen inzwischen sehr langen Zeitraum beachtlich ist, wird an dieser Stelle noch einmal etwas detaillierter darüber berichtet.

Zusammenfassung:
Es wird über eine seit etwa dreißig Jahren bestehende Mauereidechsen-Population bei Osnabrück berichtet, die auf ausgesetzte Tiere zurückgeht. Es werden Angaben zum Habitat, zur Biologie sowie zur Populationsdynamik gemacht.

Herkunft:
Bei den im Gehn vorkommenden Mauereidechsen handelt es sich um ausgesetzte Tiere, die nach phänotypischen Merkmalen der in NW-Kroatien, Slowenien (Istrien), Oberitalien sowie in der Südschweiz (Tessin) vorkommenden Unterart Podarcis m. maculiventris zugeordnet werden (FORMAN 1981, GRUSCHWITZ und BÖHME 1986, dort auch nähere Angaben zur derzeitigen Verbreitung der Mauereidechse in Europa). Tatsächlich ähneln die Männchen im Gehn denen in DEICHSEL (2008) gezeigten sehr (siehe Link).

Habitat:
Das von der Mauereidechse besiedelte Areal (etwa 750m²) ist ein kleiner, nach Süden ausgerichteter, alter Handsteinbruch (Abb. 1, 2 und 7), der in ein größeres Waldgebiet (Gehn) eingebettet ist. Die Entfernung zum Waldrand beträgt etwa 250 Meter. Der Hang selbst ist bedeckt mit unzähligen flachen Sandsteinen unterschiedlicher Größe (Blockhaldencharakter), die den Mauereidechsen zahllose Unterschlupfmöglichkeiten bieten, sowie zu etwa 85% mit Heidekraut Calluna vulgaris, jungen Birken Betula pubescens sowie Kiefern Pinus sylvestris bewachsen. Unterhalb des Hanges dominiert, infolge Staunässe auf tonigem Grund, Pfeifengras Molinia caerulea. Im August 2008 wurde die gesamte Fläche gründlich entkusselt, nachdem die Verbuschung in den Jahren zuvor deutlich zugenommen hatte.

Alle Bilder, sofern nicht anders angegeben, September 2008
Abb. 1 (Handsteinbruch im Gehn bei Bramsche)

Abb. 2 (Handsteinbruch im Gehn bei Bramsche)

Abb. 3 (Podarcis muralis maculiventris, Männchen)

Tages- und jahreszeitliche Aktivität:
Die jahreszeitliche Aktivität der Mauereidechse im Gehn, also sowohl das Verlassen der Winterquartiere im Frühjahr als auch das Aufsuchen der Überwinterungsplätze im Herbst, ist abhängig von der jeweils herrschenden Wetterlage und kann sich somit um mehrere Wochen nach vorne oder hinten verschieben. So konnten in 2008 bereits am 10. Januar bei einer Tagestemperatur von 17°C zehn Männchen und fünf Weibchen beim ausgiebigen Sonnenbad beobachtet werden.
In der Regel erscheinen die Tiere im Zeitraum 20. Februar (1998) bis 22. März (2003) und damit früher als die im Gehn ebenfalls vorkommende Zauneidechse Lacerta agilis (Abb. 4 und 5) und etwa zeitgleich mit der Waldeidechse Zootoca vivipara. (Abb. 6)
Die Winterquartiere werden im Gehn zwischen dem 26. September (1995) und dem 18. November (2005) aufgesucht, wenngleich es im Rahmen kurzzeitiger Schönwetterperioden auch danach noch zu vereinzeltem Auftreten weniger Individuen kommen kann. Nach GRUSCHWITZ und BÖHME (1986) existieren bezüglich der Aktivitätsperiode keine signifikanten Unterschiede zwischen Populationen aus dem nördlichen und südlichen Teil des Areals dieser Art.
Über die tageszeitliche Aktivitätsverteilung liegen kaum Angaben vor. Es konnte in der Vergangenheit wiederholt festgestellt werden, dass die Mauereidechsen an sehr heißen Tagen (über 30°C Außentemperatur) verstärkt in den Morgen- und Abendstunden aktiv und während der Mittagsstunden nur in einzelnen Individuen auffindbar waren.
Paarungen konnten im hier beschriebenen Gebiet bislang zwischen dem 21. April (1995) und dem 30. Mai (2008) beobachtet werden.
Alle hier gemachten Angaben zum Aktivitätsmuster der Mauereidechse im Gehn wurden zufällig gemacht, aber stets sorgfältig notiert. Sie entstammen keiner wissenschaftlichen Untersuchung.

Abb. 4 (Lacerta agilis, Männchen, Heide am Gehn bei Bramsche, April 2003)

Abb. 5 (Lacerta agilis, Jungtier, Steinbruch der Firma Hollweg & Kümpers bei Bramsche)

Abb. 6 (Zootoca vivipara, Weibchen, Heide am Gehn bei Bramsche, Juni 2002)

Abb. 7 (Handsteinbruch im Gehn bei Bramsche)

Ergänzende Angaben:
Nachdem die Mauereidechsen viele Jahre ausschließlich im o.g. Steinbruch zu beobachten waren, begannen sie zu Beginn dieses Jahrhunderts zu expandieren, weitere offene Bereiche in der näheren Umgebung zu besiedeln. Erstmals am 21. April 2001 gelang mir die Feststellung eines Männchens im Naturdenkmal Heide am Gehn (Abb. 8, 250m entfernt vom Handsteinbruch). In den folgenden Jahren mehrten sich die Beobachtungen an diesem Ort, und inzwischen scheint sich die Mauereidechse auch hier etabliert zu haben, wenngleich bei weitem nicht in so hoher Abundanz wie im o.g. Steinbruch.

Abb. 8 (Heide am Gehn)

Schließlich gelangen in 2003 erste Beobachtungen im westlichen Teil des Steinbruchs der Firma Hollweg & Kümpers (Abb. 9 und 10, 900m entfernt), der auch heute noch bewirtschaftet wird. Hier ist die Anzahl festgestellter Mauereidechsen bis heute gering. Maximal wurden dort am 10. Mai 2008 22 Tiere gesehen.

Abb. 9 (Steinbruch der Firma Hollweg & Kümpers)

Abb. 10 (Steinbruch der Firma Hollweg & Kümpers)

Um die hier genannten neuen Flächen besiedeln zu können, mussten die Mauereidechsen einen 250m breiten Waldstreifen durchqueren, ausgestattet mit einem nahezu geschlossenen Unterwuchs aus Preisel- und Heidelbeeren Vaccinium vitis-idaea und V. myrtillus sowie dichten Beständen des Adlerfarns Pteridium aquilinum – auf den ersten Blick also eine unüberbrückbare Barriere für die thermophile Mauereidechse. Nur ein einziges Mal konnte ich ein Weibchen auf etwa halber Strecke zwischen dem Handsteinbruch und der Heide am Gehn entdecken, das auf der Flucht vor mir in für diese Art bekannter Leichtigkeit einen Birkenstamm erklomm.
Letztendlich muss offen bleiben, ob die Mauereidechse die neuen Bereiche selbstständig oder abermals durch menschliche Unterstützung erreicht hat. Eine weitere Ausbreitung der Mauereidechse im Gehn erscheint jedenfalls unwahrscheinlich, weil einerseits alle geeigneten Bereiche besiedelt sind und andererseits der Gehn von intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen umgeben ist. Die Tatsache, dass die Mauereidechsen auf den neu besiedelten Flächen bislang nicht annähernd eine so hohe Dichte erreicht haben wie im Handsteinbruch, ist ein Indiz für die unterschiedliche Qualität der verschiedenen Bereiche hinsichtlich der Habitatstrukturen auf der einen und den Ansprüchen dieser Art auf der anderen Seite. Nur der Handsteinbruch mit seiner Oberfächenstruktur – einem kleinräumigen Mosaik aus vielen guten Sonnplätzen und Versteckmöglichkeiten – , dem Deckungsgrad durch niedrige Pflanzen, der Ausrichtung nach Süden sowie dem Windschutz durch den umgebenden Wald scheint als optimaler Lebensraum der Mauereidechse bestehen zu können. Der „Täter“, der die Ahnen dieser Mauereidechsen vor etwa dreißig Jahren hier ausgesetzt hat, wusste offenbar, was er tat.

Abb. 11 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 12 (Podarcis muralis maculiventris, Männchen)

Während FORMAN (1981) im April 1980 lediglich acht Mauereidechsen beobachten konnte, ohne allerdings Angaben zur herrschenden Witterung zu machen, hat sich bezüglich der Individuenstärke der hier beschriebenen Population offenbar viel getan. Nach groben Schätzungen in 2008 besteht sie aus etwa 160 bis 200 Mauereidechsen aller Altersklassen (auch in 2008 trotz des eher kühlen Sommers wieder Nachwuchs, 18 Jungtiere gezählt am 18. September 2008).

Abb. 13 (Podarcis muralis maculiventris, Jungtier)

Abb. 14 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 15 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 16 (Podarcis muralis maculiventris, Männchen)

Kann sich die Mauereidechse negativ auf das Vorkommen anderer Lacerten auswirken? Tatsächlich konnte die Zauneidechse im Handsteinbruch seit 1998 nicht mehr nachgewiesen werden, obwohl dieser nach wie vor geeignet für diese Art erscheint. In der Heide am Gehn sowie im Steinbruch der Firma Hollweg & Kümpers kommen aber (noch?) beide Arten nebeneinander vor. Denkbar wäre in dieser Hinsicht ein möglicher Prädationsdruck der frisch geschlüpften Zauneidechsen (und Waldeidechsen) durch die deutlich agilere Mauereidechse, sodass einer gesunden Zauneidechsen-Population das „Fundament“ entzogen würde.
Von 25 am 23. August 2006 gefangenen Adulti waren 21 mit Zecken Ixodes spec. befallen (entspricht 84%); maximal konnten 21 Zeckennymphen an einer Eidechse festgestellt werden! Darüber hinaus waren bei 18 Individuen die Schwänze regeneriert (72%).

Abb. 17 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 18 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 19 (Podarcis muralis maculiventris, Männchen)

Folgende weitere Amphibien- und Reptilienarten kommen im Gehn, zum Teil syntop mit der Mauereidechse, vor: Erdkröte Bufo bufo, Kreuzkröte Bufo calamita, „Teichfrosch“ Rana esculenta, Grasfrosch R. temporaria, Teichmolch Triturus vulgaris, Fadenmolch T. helveticus, Bergolch T. alpestris, Kammmolch T. christatus, Feuersalamander Salamandra salamandra sowie Blindschleiche Anguis fragilis, Waldeidechse, Zauneidechse und Schlingnatter Coronella austriaca (zuletzt 30. Juni 2000, inzwischen ist das Vorkommen wohl erloschen).

Die Frage FORMANS (1981), „ob und inwieweit Mauereidechsen befähigt sind, sich nördlich ihrer eigentlichen Verbreitung zu akklimatisieren?“ kann im Falle dieser vielleicht nördlichsten reproduzierenden deutschen Population uneingeschränkt mit ja beantwortet werden.

Abb. 20 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 21 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 22 (Podarcis muralis maculiventris, Weibchen)

Abb. 23 (Podarcis muralis maculiventris, Männchen)

Abb. 24 (Podarcis muralis maculiventris, Männchen)



Literatur:

DEICHSEL, G. (2008): Eingeführte Podarcis muralis maculiventris auf der Insel Mainau im Bodensee, Deutschland. www.lacerta.de

FORMAN, F. (1981): Eine Mauereidechsen-Population bei Osnabrück. Osnabrücker naturwiss. Mitt. 8, S. 133-134.

GRUSCHWITZ, M. u. W. BÖHME (1986): Mauereidechse Podarcis muralis. In: BÖHME, W. (1986): Handbuch der Reptilien und Amphibien Europas, Band 2/II: Echsen III (Podarcis). Aula, Wiesbaden.

Anschrift des Verfassers:
Frank Sudendey, Langer Kamp 22, 26603 Aurich,
e-mail: Sudendey@gmx.net


Nachtrag 19.11.08:

Vor Kurzem sind die Mauereidechsen aus dem Gehn bei Bramsche genetisch untersucht worden (Dr. Werner Mayer, Naturhistorisches Museum Wien). Es handelt sich dabei nach der mtDNA um Podarcis muralis maculiventris (Gruppe West), dessen natürliches Areal sich von Ligurien über den größten Teil der Poebene (westlicher Teil) und Tirol bis ins Bayrische Oberaudorf erstreckt.

Nachtrag 12.9.2010:

Durch einen Bekannten bin ich auf Ihre Eidechsenseite gestoßen und habe mit Interesse den Bericht über die Mauereidechsen im Gehnwald gesehen. Ich möchte Ihnen mitteilen, dass ich derjenige gewesen bin, der erstmals 1980 und dann bei meinem Einzug zur Bundeswehr 1982 die Mauereidechsen ausgesetzt hat. Die Tiere stammen alle vom Lago Maggiore und waren daher auch an strengere Winter gewöhnt. Den Steinbruch habe ich damals ausgesucht, da dort die Lebensbedingungen für die Mauereidechsen mir am günstigsten erschien und die Population der Zauneidechsen durch die damalige Forstwirtschaft dort stark nachgelassen hat. Ich habe weiterhin mehrere Schlingnattern aus Österreich zur Erholung der damaligen Population und Gelbbauchunken ebenfalls aus Österreich an einem Teich in der Nähe des Hauptsteinbruches ausgesetzt. Die ausgesetzten Mauereidechsen sollten zur Nahrungssicherung dienen. Ich habe die Entwicklung der Tiere in den 30 Jahren danach immer wieder beobachtet. Ihre Beobachtungen zur Population der Zauneidechsen in dem Steinbruch seit 1998 sind falsch. In meiner Kinder und Jugendzeit habe ich die Entwicklung der Reptilien und Amphibien vor allem in der Zeit von ca. 1972 bis 1982 durch zahlreiche Besuche (von März bis Oktober 2 bis 3 mal im Monat) im Gehnwald verfolgt. Die früheste jährliche Beobachtung z. B. waren ca. 10 Zauneidechsen, ca. 3 Blindschleichen und ein Paar Schlingnattern am 29.02.1976.
Zur Beurteilung meiner Jugendsünde vor 30 Jahren kann ich Ihnen sagen, dass zum einen etwaige Straftaten mittlerweile verjährt sind, zum anderen gab es zur damaligen Zeit keine gesetzlichen Einfuhr- bzw. Aussetzungsverbote. Die Entwicklung der Mauereidechsen machen es mir heute noch möglich, meinen Neffen bzw. Nichten und anderen Kindern die Möglichkeit zu bieten, Eidechsen in freier Wildbahn problemlos zu beobachten. Die Population der einheimischen Arten wie Zauneidechse, Wald- Bergeidechse sowie Blindschleichen waren zum Aussetzungszeitpunkt bereits extrem bedroht bzw. in einigen Bereichen nicht mehr vorhanden. Die Bedrohung ist auch nicht durch die Mauereidechsen gewachsen. Die Ursache für das Verschwinden der einheimischen Arten im Gehnwald war die damalige Forst- und Landwirtschaft. So sind große Heideflächen durch die montone Bewirtschaftung durch Fichten vernichtet worden. Weitere Flächen auf denen die einheimischen Reptilien lebten, wurden durch Entwässerung, Pflanzengifte und Umnutzung der Heide- und Moorflächen durch Ackerbau extrem in Mitleidenschaft gezogen, so dass die Populationdichte derart gesenkt wurde, dass die Fortpflanzung der einheimischen Arten rapide zum Erliegen kam. Mitte der 70-ziger Jahre gab es nicht einen Besuch bei gutem Wetter im Gehnwald, an dem ich nicht mindestens 50 bis 150 Zauneidechsen und Blindschleichen gesehen habe. Bereits Ende der Siebziger Anfang der Achtziger waren es ca. nur noch 20 bis 50 Tiere. Schlingnattern habe ich seit Mitte der Achtziger nicht mehr im Gehnwald gesehen, dass nicht nur daran gelegen hat, dass meine Besuche weniger wurden. Erst Anfang der Neunziger trat ein Umdenken in der Agrar- und Forstwirtschaft ein, so dass im Gehnwald Heideflächen unter Schutz gestellt und Feuchtgebiete angelegt wurden. Für die einheimischen Eidechsen kamen diese Maßnahmen zu spät. Die Populationsdichte war bereits so niedrig, dass eine Erholung der Bestände nicht mehr zu verzeichnen war. Damit der Bestand der Zauneidechse sich wieder erholt, müssten Tiere von außerhalb zugeführt werden. Für die enorme Vermehrung der Mauereidechsen gab es mehrere Gründe. Zum einen kamen die ausgesetzten Tiere aus einer Gegend mit rauherm Klima und strengen Wintern. Weiterhin gab es keine anderen Reptilien in den Abbruchflächen des nicht mehr genutzten Steinbruches. Die Mauereidechsen lebten auf den Steinflächen und die Zauneidechsen in den davor gelagerten Heideflächen.
Die Ausbreitung der Mauereidechsen soll aufgrund ihrer Einzigartigkeit dazu geführt haben, dass große Teile des Verbreitungsgebietes gerettet worden sind. Der dortige Steinbruch sollte Mitte der Neunziger Jahre erweitert werden. Aus diesem Grund wurde die OLOS (Faunistisch-entomologische Arbeitsgemeinschaft) zur Überprüfung der Tier- und Pflanzenwelt in dem zum Abbau bestimmten Gebiet beauftragt. Insbesondere der Nachweis der Mauereidechsenpopulation soll dazu geführt haben, dass das Gebiet mit den Mauereidechsen nicht durch Bergbau zerstört werden darf.
Verfasser: Anonym